Staatenkrieg und nicht-staatliche Kriege
in Clausewitz’ Vom Kriege[1]

Andreas Herberg-Rothe
[vita]


In: Jäger, Thomas/Kümmel, Gerhard/Lerch. Marika (Hrsg.), Sicherheit und Freiheit. Außenpolitische, innenpolitische und ideengeschichtliche Perspektiven. Festschrift für Wilfried von Bredow zum 60. Geburtstag. Baden-Baden 2004, pp. 23-38.
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Auf den ersten Blick scheint es offensichtlich zu sein, dass Clausewitz’ Theorie des Krieges begrenzt ist auf den zwischenstaatlichen Krieg. Insbesondere seine weltberühmte Formel vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist nur schwerlich auf nicht-staatlich geführte Kriege etwa von warlords zu beziehen, von den Eskalationsmechanismen der Gewalt ohne jeden Bezug auf einen politischen Zweck in Bürgerkriegen ganz zu schweigen.[2] Hinzu kommt die Hervorhebung von Clausewitz in einem „Nachricht“ betitelten kurzen Text, bei der beabsichtigten Überarbeitung seines gesamten Textes müsse der „Gesichtspunkt ausdrücklich und genau festgestellt werden, dass der Krieg nichts ist als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.“ (Clausewitz 1990, 179)Im ersten Kapitel seines ersten Buches (von dem gesichertzu sein scheint, dass es als einziges nach dieser Überarbeitung im Sinne Clausewitz abgeschlossen vorliegt; ebd., 181) bestimmt er „Politik“ als „Intelligenz des personifizierten Staates“ (211-212). In seinem Selbstverständnis scheint die Formel vomKrieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln damit tatsächlich nur an den zwischenstaatlichen Krieg gebunden zu sein.[3]

Zwei Probleme ergeben sich jedoch trotz dieser Feststellung. Erstens, welchen Stellenwert hat die Formel vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln im Rahmen seiner gesamten Theorie und zweitens welchen Begriff von Politik und von Staat setzt Clausewitz voraus bzw. verwendet er? Zuletzt könnte es sein, dass bei mehr oder weniger großer Modifikation seines Begriffs von Politik seine Theorie weiterhin Gültigkeit besitzt.

1. Die Formel und die „wunderliche Dreifaltigkeit“

Die grundlegende Bedeutung seiner Formel vom Krieg als Fortsetzung der Politik mitanderen Mitteln für seine gesamte Theorie betont Clausewitz in der genannten Nachricht. Seine vorgesehene Überarbeitung entsprechend diesem Gesichtspunkt werde „Einheit in die Betrachtung bringen“, „manche Allgemeinheit“ würde in bestimmtere Gedanken undFormen übergehen“ (180). Im achten Buch (kurz vor bzw.teilweise nach der Nachricht verfasst), heißt es, dass der Krieg durch grundlegende Widersprüche, entgegengesetzte Elemente gekennzeichnet sei. Er hätte diese Widersprüche gleich von vornherein aufgestellt, wenn es nicht notwendig gewesen wäre, eben diese Widersprüche recht deutlich hervorzuheben und die verschiedenen Elemente auch getrennt zu betrachten. Im praktischen Leben, hebt Clausewitz hervor, würden sich diese widersprechenden Elemente jedoch miteinander verbinden, indem sie eine Einheit bilden. Und diese „Einheit“ ist für Clausewitz der „Begriff, dass der Krieg nur ein Teil des politischen Verkehrs sei, also durchaus nichts Selbständiges.“ (990)

Dieser grundlegenden Bedeutung des Primates der Politik für seinen gesamten Ansatz steht jedoch entgegen, dass dieser in der von Clausewitz so genannten „wunderlichen Dreifaltigkeit des Krieges“ nur eine von drei prinzipiell gleichberechtigten Tendenzen ist. Diese drei Tendenzen, aus deren historisch unterschiedliche Zusammensetzung sich der chamäleonhafte Charakter jedes Krieges ergibt, sind für Clausewitz die „ursprüngliche Gewaltsamkeit des Krieges“, das Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls in jedem Kriegsgeschehen sowie die untergeordnete Natur des Krieges als eines politischen Werkzeuges. (212-213) Keine dieser drei Tendenzen habe einen Primat vor der anderen, kein Krieg sei nur von einer dieser Tendenzen bestimmt, keine dürfe vernachlässigt werden, wollte eine Theorie des Krieges nicht unmittelbar mit der Wirklichkeit in Widerspruch geraten. (213) Dies bedeutet nun nichts anderes, als dass Clausewitz in der wunderlichen Dreifaltigkeit einerseits den Primat der Politik und damit gewissermaßen die Formel wiederholt, zugleich ist dieser Primat andererseits nur eine von drei unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Tendenzen, aus denen jeder Krieg zusammengesetzt sei. Hervorzuheben ist, dass Clausewitz die in diesem Abschnitt beschriebene „wunderliche Dreifaltigkeit“ als sein eigenes „Resultat für die Theorie“ des Krieges überschreibt. (212)

Zwar ist versucht worden, die „wunderliche Dreifaltigkeit“ des Krieges mit dem Primat der (staatlichen) Politik dadurch in Übereinstimmung zu bringen, dass sie in einem hierarchischen Verhältnis der drei Tendenzen von „Volk, Armee, (staatliche) Regierung“ interpretiert wurde, wie dies insbesondere Martin van Crevelds Kritik impliziert. (van Creveld 1998)[4]

Demgegenüber betont Clausewitz aber ausdrücklich, dass die drei Elemente der wunderlichen Dreifaltigkeit, aus denen jeder Krieg zusammengesetzt sei, prinzipiell gleichrangig seien und keine der drei einen Vorrang vor den anderen habe. Zu berücksichtigen ist zusätzlich die Formulierung von Clausewitz, die drei Tendenzen der „wunderlichen Dreifaltigkeit“ seien „mehr dem Volke“, „mehr dem Feldherrn und seinem Heer“, „mehr der Regierung“ zugewandt (213). Clausewitz deutet in diesem „mehr“ somit einehistorisch bedingte Schwerpunktsetzung an, ohne dass jedoch in jedem konkreten historischen Fall die „ursprüngliche Gewaltsamkeit“ dem Volk, das Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls dem Heer, der Primat der Politik der(staatlichen) Regierung zugehören würde.

In meiner Interpretation sind die drei Elemente der „wunderlichen Dreifaltigkeit“ diejenigen der „ursprünglichen Gewaltsamkeit“ des Krieges, des Kampfes zweier oder mehrerer Gegner sowie dieuntergeordnete Natur des Krieges als eines politischen Instrumentes (Clausewitz 1990, 212-213, Herberg-Rothe 2001). Das gesamte erste Kapitel ist zu Anfang und Ende in zwei dreiteilige Bestimmungen des Krieges eingebunden, die Clausewitz mit „Definition“ und „Resultat für die Theorie“ umschreibt. Zu Ende des ersten Kapitels bestimmt er die „wunderliche Dreifaltigkeit“ als Resultat für die Theorie, zu Anfang definiert er den Krieg wie folgt: „Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllungunseres Willens zu zwingen.“ (191-192) Vergleichen wir beide Bestimmungen des Krieges miteinander, gibt es Gemeinsamkeiten wie gravierende Unterschiede. In unserem Verständnis schließt sich ein Kreis zwischen der anfänglichen dreiteiligen Definition und der wunderlichen Dreifaltigkeit zum Schluss dieses Kapitels. Die erstere wird angereichert und ausdifferenziert, die zweite aus dem Entwicklungsgang des gesamten ersten Kapitels begründet. Trotz seiner Kritik an der anfänglichen dreiteiligen Definition unterstützt auch Raymond Aron indirekt unsere Interpretation. Er stellt fest, dass diese noch in der „wunderlichen Dreifaltigkeit“ enthalten ist, und zwar in allen drei Elementen. Wir können ihm auch in der Interpretation zustimmen, dass die Entwicklung innerhalb des ersten Kapitels eine Ausdifferenzierung, eine Anreicherung der anfänglichen Definition enthält. (Aron 1980, 106-111)

Wie verhalten sich die beiden dreiteiligen Bestimmungen des Krieges zu Anfang und Ende des ersten Kapitels zueinander? In beiden Bestimmungen werden drei gleiche Begriffsfelder thematisiert, die jedoch jeweils durch ein spezifisches Gegensatzverhältnis gekennzeichnet sind. Gewalt, sagt Clausewitz in der anfänglichen dreiteiligen Definition, sei das Mittel, dem Feind unseren Willen aufzudringen, hingegen der (politische) Zweck des Krieges. Um diesen Zweck sicher zu erreichen, müssten wir einen Feind wehrlos machen und dies sei dem Begriff nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung. Gewalt als rationales Mittel, Wille als politischer Zweck, den Gegner dadurch zu zwingen, dass er wehrlos ist, als Ziel - aus diesen Elementen besteht die anfängliche Definition. (191-194) Die drei gemeinsamen Begriffsfelder der anfänglichen Definition und der „wunderlichen Dreifaltigkeit“ zum Schluss des ersten Kapitels sind damit Gewalt, das Zwingen des Gegners sowie der politische Zweck des Krieges.[5]

In der anfänglichen Definition wird die Gewalt als zweckrationales Mittel bestimmt, in der „wunderlichen Dreifaltigkeit“ spricht Clausewitz dagegen von der ursprünglichen Gewaltsamkeit, die wie ein blinder Naturtrieb anzusehen ist. In Bezug auf das „Zwingen des Gegners“ findet sich im Zusammenhang der Definition die Wechselwirkungen zum Äußersten, die Notwendigkeit und Logik der Eskalation, demgegenüber in der Dreifaltigkeit das „Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls“. Zwei der drei gleichen Begriffsfelder sind somit durch einen grundsätzlichen Gegensatz bestimmt: Zweckrationalität der Gewalt gegenüber der ursprünglichen Gewaltsamkeit des Krieges sowie die Notwendigkeit und Logik der Eskalation versus dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls. Demgegenüber scheint das dritte Begriffsfeld, das der Politik, zunächst durch keinen solchen Gegensatz gekennzeichnet zu sein.

Auch wenn Clausewitz in den beiden dreiteiligen Bestimmungen keinen expliziten Gegensatz im Begriffsfeld der Politik dargestellt hat, so wird in weiten Teilen der Clausewitz-Interpretation von einem doppelten Politikbegriff bei ihm ausgegangen.[6] Ohne die detaillierte Interpretation dieses Politikbegriffs zu wiederholen, sind hier lediglich zwei Dimensionen anzugeben: erstens, subjektiv bestimmte Politik versus einem Politikverständnis, das auf objektiven gesellschaftlichen Verhältnissen basiert; zweitens, Politik verstanden als Kampf um Macht gegenüber einer Position, die auf Kompromissfähigkeit und dem Ausgleich von Interessen gründet.

Fassen wir die bisherigen Überlegungen zur Struktur des ersten Kapitels zusammen:

Das erste Kapitel von Clausewitz’ Werk „Vom Kriege“ ist eingebunden in zwei dreiteilige Bestimmungen des Krieges zu Anfang und Ende. Überschrieben sind diese mit „Definition“ und „Resultat für die Theorie“. Es ist zu bemerken, dass die berühmte Formel eine ähnliche Hervorhebung in Clausewitz’ Text nicht erfährt. Die beiden Bestimmungen zu Anfang und Ende des ersten Kapitels artikulieren drei gleiche Begriffsfelder - Gewalt, Zwingen des Gegners im Kampf und Politik. Jedes dieser drei Begriffsfelder ist explizit oder implizit durch einen spezifischen Gegensatz gekennzeichnet:

1. Gewalt als zweckrationales Mittel gegenüber der ursprünglichen Gewaltsamkeit des Krieges;

2. Tendenz zum Absoluten und Äußersten, die Notwendigkeit und Logik der Eskalation gegenüber dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls im Kampf.

3. subjektive Politik gegenüber objektiven Verhältnissen. Politik bestimmt sich hier zudem im Spannungsfeld des Gegensatzes von Macht und Übereinstimmung bzw. Recht.

Die Pole in diesem jeweiligen Gegensatzverhältnis können als „beiderseitige“ Grenzen verstanden werden, wodurch der Krieg einerseits bestimmt wird, zwischen denen er sich als deren „Mitte“ andererseits bewegt und entwickelt. Die von Clausewitz dargestellten Gegensätze und ihre Ausdifferenzierung im gesamten ersten Kapitel sind seine eigentliche Charakterisierung des Krieges. Ihre Zusammensetzung wie widerstreitende Entgegensetzung bestimmen jeden Krieg, wenngleich in unterschiedlichen Ausprägungen und Dominanzen eines der jeweiligen Gegensätze. Die Extreme dieser Gegensätze sind die Grenzen, innerhalb derer jeder konkrete Krieg angesiedelt ist.

Clausewitz’ Methode

Aus dieser Bestimmung des Verhältnisses zwischen der anfänglichen dreiteiligen Definition zu Anfang des ersten Kapitels und der wunderlichen Dreifaltigkeit als Resultat für die Theorie des Krieges ergibt sich mit Notwendigkeit, dass Clausewitz’ berühmte Formel vom Krieg als Fortsetzung der (Staats-) Politik mit anderen Mitteln ebenso nur als ein Pol in einem Gegensatzpaar anzusehen ist, innerhalb dessen der Krieg anzusiedeln ist.[7] Auf eine andere Art und Weise sind die gegensätzlichen Bestimmungen des Krieges im ersten Kapitel nicht aufzuheben, wollte mannicht in der Widersprüchlichkeit zwischen ihnen stehen bleiben. Eine einfache Harmonisierung der „wunderlichen Dreifaltigkeit“ mit der anfänglichen dreiteiligen Definition ist grundsätzlich nicht möglich, ebenso wenig mit der weltberühmten Formel, aber auch nicht mit Clausewitz’ scheinbarem Begriff des Krieges in den berühmten „drei Wechselwirkungen zum Äußersten.“

Clausewitz’ Methode im gesamten ersten Kapitel ist so zu beschreiben: Krieg ist in seiner Sicht ein Konflikt des lebendigen wechselseitigen Handelns. Das erste Kapitel des ersten Buches ist ein Versuch, seine gegensätzlichen Kriegserfahrungen[8] sowie diese Lebendigkeit des Konflikts in einer Synthese zusammenzudenken. Aufgrund seiner realistischen Betrachtungsweise kann Clausewitz jedoch bei einseitigen Bestimmungen des Krieges nicht stehen bleiben. Er ist zu aufrichtig, um den Krieg aus dogmatischen Festlegungen abzuleiten. Immer dann, wenn er im ersten Kapitel eine grundsätzliche Bestimmung des Krieges vollständig dargelegt oder bis zu einem Extrem getrieben hat, folgt der Umschlag zu einem Gegen-Satz, einem Bruch, von dem aus er einen neuen Aspekt des behandelten Themas untersucht.[9]

Bezogen auf die Interpretation des ersten Kapitels bedeutet dies, dass Clausewitz Krieg als Prozess innerhalb der Gegensätze der wunderlichen Dreifaltigkeit und der anfänglichen dreiteiligen Definition bestimmte. Diese Gegensätze sind Grenzbegriffe als Tendenzen bzw. Dimensionen, die jeden Krieg kennzeichnen. Je nach historischer Situation, den äußeren Bedingtheiten und den jeweiligen Entscheidungen tritt der eine oder der andere dieser Pole besonders in den Vordergrund. Jeder Krieg ist jedoch gekennzeichnet durch die Gegensätze der Zweckrationalität der Gewalt und seiner „ursprünglichen Gewaltsamkeit“, einer immanenten, notwendigen Logik von Handeln und Gegenhandeln im gewaltsamen Kampf sowie dem Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls. Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln basiert selbst auf einer unaufhebbaren Spannung. Der Einfluss der Politik auf die Kriegführung ist in Clausewitz Sichtweise sehr groß, zugleich betont er jedoch, dass es andere Mittel sind, der sich die Politik bedient.[10] Deutlicher wird diese Problematik in unmittelbarem Umfeld von Clausewitz’ weltberühmter Formel. Dort spricht er zwar vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, unmittelbar zuvorbetont er jedoch, dass die Politik den ganzen kriegerischen Konflikt durchziehen und einen fortwährenden Einfluss auf ihn ausüben werde, aber nur, „soweit es die Natur der in ihm explodierenden Kräfte zulässt.“ (210)

Clausewitz’ Zeitgenosse Hegel hatte hervorgehoben, dass die Wahrheit nicht in einem Satz ausgesprochen werden könne, vielmehr fordert jede Aussage bei ihm wie bei Clausewitz ihren Gegen-Satz heraus.[11] „Aussagen und Gegen-Aussagen wirken bei Clausewitz wie Gewichte und Gegengewichte, durch deren Spiel und Gegenspiel gewissermaßen die Waage der Wahrheit ins Gleichgewicht gebracht wird.“[12] Aussage und Gegen-Aussage im ersten Kapitel des ersten Buches sind die anfängliche dreiteilige Definition und die „wunderliche Dreifaltigkeit“ zum Schluss dieses Kapitels. Im ersten Kapitel werden gegensätzliche Wirkungen der drei Begriffsfelder der Gewalt, des Kampfes und der Politik dargestellt. Krieg ist gekennzeichnet durch diese Grenzbegriffe (Münkler), aus denen sich in Clausewitz’ Konzeption jeder Krieg zusammensetzt und innerhalb derer er sich als ihre „Vermittlung“ entwickelt.

Clausewitz’ Begriff von Politik

Mit der Problematik, ob Clausewitz’ Theorie des Krieges auf staatliche Kriege begrenzt sei oder auch für nicht-staatliche Kriege Geltung beanspruchen könne, sind ganz unterschiedliche normative Kategorien verbunden. So könnte man argumentieren, dass Clausewitz’ Theorie zwar auf Kriege begrenzt sei, auf denen auf wenigstens einer Seite staatliche Organisationen beteiligt sind – dies könnte jedoch im Umkehrschluss bedeuten, dass Clausewitz der grundlegende Theoretiker staatlicher Kriegführung bleibt und Auseinandersetzungen um seine Aktualität eingebettet sindin weitergehende Annahmen über die Zukunft des Staates bzw. staatlicher Organisation (so etwa bei van Creveld und von Trotha). Keegans Position ist wiederum an der Kritik moderner staatlicher Kriegführung in den beiden Weltkriegen orientiert, so dass für ihn Clausewitz nur den Aufhänger bildet, um im Umkehrschluss eine nicht-staatliche, nicht-moderne Kriegführung zu propagieren.[13] Der anti-Clausewitz’sche Affekt dieser Autoren ist eine diskursive Strategie, um die eigene Position als vermeintlich notwendige Umkehrung des kritisierten Clausewitz zu präsentieren. Auf diese Weise finden Inhalte eine scheinbare Begründung, die für sich genommen äußerst problematisch sind, wie etwa diejenige van Crevelds, dass der Sinn des menschlichen Lebens im gewaltsamen Kampf liege bzw. dieser diealtruistischste aller menschlichen Tätigkeiten sei. (van Creveld 1998)

Diese Formen der Kritik an Clausewitz sind mit realen Problemen der Interpretation verbunden. Keegan macht sich die nicht-einfache Bestimmung von Clausewitz’ Begriff des „Absoluten und Äußersten“ im Krieg zunutze, um diesen Begriff mit der tendenziell totalen Kriegführung im Ersten und Zweiten Weltkrieg bzw. Ludendorffs Konzept des Totalen Krieges in Verbindung zu bringen.[14] Ebenso hat es immer wieder Versuche gegeben, Clausewitz’ gesamte Theorie nur aus einer der gegensätzlichen Pole in seinem hilfsweise dialektisch zu nennenden Ansatz abzuleiten: sei es aus der Tendenz zum Absoluten, zur Begrenzung der Gewalt oder eben dem Primat der Politik.

Während für seine Kritiker Clausewitz überholt ist, weil seine Theorie auf den staatlichen Krieg begrenzt sei,[15] bestimmen seine Befürworter Clausewitz’ ungebrochene Aktualität vom Gesichtspunkt der Strategie aus. So betonte etwa Antulio Echevarria: „But his conception of war, his remarkable trinity, and his grasp of the relationship between Politik and war will remain valid as long as states, drug lords, warrior clans, and terrorist groups have mind to wage it.”Ausgangspunkt dieser Position ist eine Differenzierung im bzw. Ausweitung des Politikbegriff Clausewitz’.Seine verschiedenen Ausführungen zum Verhältnis von Politik und Kriegführung entsprechen demzufolge der bekannten Unterscheidung von „policy“ und „politics“ im Englischen.[16] Seit langem ist in der Clausewitz-Forschung bekannt, dass Clausewitz implizit und sehr häufig ununterschieden ganz unterschiedliche Dimensionen des Politikbegriffes herausstellt.In Clausewitz’ Politikbegriff werden von Raymond Aron zwei Dimensionen unterschieden: erstens, objektive Politik als Gesamtheit der sozio-politischen Bedingungen und zweitens subjektive Politik als „Intelligenz des personifizierten Staates“. (Clausewitz, 993)[17] Analog argumentiert auch Dan Diner, der explizit von einer Verdoppelung des Politikbegriffs bei Clausewitz spricht. Unter der ersten Form des Begriffs sei ein „zweckrational angestrebter Rahmen zielorientierten Verhaltens organisierter Gewaltanwendung“ zu verstehen. Diese Zweckrationalität beziehe sich auf jede kriegerische Handlung. Demgegenüber erfahre der Politikbegriff bei Clausewitz auch eine andere Sinngebung, als handlungsrelevanter Ausdruck des Ensembles gesellschaftlicher Bedingungen, die der Gewaltanwendung vorausgehen und die von den Handelnden nicht beliebig manipulierbar sind. Das Politische oder die Politik in diesem Sinne sei eine dem willentlich lenkbaren Konzept von Mittel und Zweck entzogene Substanz, die der vorherrschenden Gestalt des gesellschaftlichen Verkehrs analog gehe. (Diner, 1980, 447-448; Aron 1980, 389)

Eine noch weitergehende Interpretation des Politikbegriffs von Clausewitz findet sich bei Echevarria in der Formulierung, „Clausewitz used Politik as an historically causative force, providing an explanatory pattern or framework for coherently viewing war`s various manifestations over time.“(Echevarria 1995) Diese Interpretation stützt sich auf ein in der Clausewitz-Forschung nicht genügend berücksichtigtes Kapitel, in dem Clausewitz in einem historischen Kontext zwar den Zusammenhang von „politischem Zweck“ (961) und dem konkreten Kriegsverlauf verdeutlichen will, zugleich jedoch einen sehr allgemeinenPolitikbegriff verwendet.[18]Clausewitz bestimmt hierbei die historischen Kriege nicht in Abhängigkeit von willentlichen Entscheidungen oder „politischen Verhältnissen“ im engeren Sinne, sondern von der politischen Verfasstheit, nahezu von gesellschaftlichen Verhältnissen, und zwar nicht nur von Staaten, sondern von Gemeinschaften. Seine Aufzählung umfasst „halbgebildete Tataren, Republiken der alten Welt, Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters, Könige des achtzehnten Jahrhunderts, endlich Fürsten und Völker des neunzehnten Jahrhunderts.“Alle diese Gemeinschaften führten den Krieg „auf ihre eigene Weise, führten ihn jeweils anders, mit anderen Mitteln und nach einem anderen Ziel.“ (962)

Trotz dieser Unterschiedlichkeit betont Clausewitz im dazugehörenden achten Buch und dem ersten Kapitel des ersten Buches (das unzweifelhaft nach dem achtenBuch geschrieben worden ist), dass der Krieg eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei. Hiermit relativieren sich die scheinbar so eindeutigen Aussagen von Clausewitz, der Krieg sei nur die Fortsetzung der Staatspolitik mit anderen Mitteln, wenn wir einen engen, „modernen“ Staatsgebriffzugrunde legen. Unter „Staat“ versteht Clausewitz zumindest im achten Buch bzw. in seinen historischen Studien offensichtlich die politisch-gesellschaftlich bestimmte Verfasstheit einer Gemeinschaft.Im Falle eines modernen Staates ermöglicht diese Verfasstheit eine relative Unabhängigkeit von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen, bezüglich Tartaren und anderen Formen nicht-staatlicher Kriegführung ist die Eigenständigkeit von politischen Entscheidungen eher eingeschränkt und entspricht die Art und Weise der Kriegführung mehr der gesellschaftlich-sozialen Lebensweise.[19]

Fraglich ist jedoch, ob es sinnvoll ist, einen solch allgemeinen Politikbegriffzu verwenden, der eigentlich die politisch-gesellschaftliche Verfasstheit einer Gemeinschaft meint, um Clausewitz’ Formel vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mittel auf alle Formen von Kriegen anwenden zu können. Aus diesem Grund könnte es sinnvoll sein, Clausewitz’ Begriff der Staatspolitik um den der Handlung einer politisch-sozialen, gesellschaftlichen, religiösen oder sonst wie verfassten Gemeinschaft zu ersetzen. Im Fall von modernen Staaten würde Krieg dann zusammengesetzt sein aus Gewalt, Kampfund der Politik dieses Staates, im Falle anderer Gemeinschaften wiederum aus Gewalt, Kampf und den Handlungen, die aus der „Verfasstheit“ dieser Gemeinschaft, ihren Zwecken, Zielen, Identität usw. entspringen.[20]

In den „Umtrieben“, einem seiner politischsten Aufsätze (von 1819) überhaupt, verdeutlicht Clausewitz den grundlegenden Zusammenhang von Revolution, Bürgerkrieg und der sozialen Verfasstheit einer Gemeinschaft. Ursprünglich seien die Rechte des Adels in der Gesellschaft eine notwendige Folge des Gleichgewichts zwischen den Ständen gewesen, schreibt Clausewitz. Nachdem sich jedoch im 17. und 18. Jahrhundert die europäischen Staaten fast überall zu Monarchien entwickelt hätten, blieben dem Adel nur seine Rechte gegen die Untertanen, nicht jedoch gegenüber den Fürsten. Aufgrund dieser Entwicklungen hätte der Adel keinen Anteil mehr an der politischen Herrschaft, wodurch sich seine früheren Vorrechte legitimiert hätten.

Nunmehr Untertan wie Bauer und Bürger erschienen seine historischen Rechte als bloße Vorrechte, als eine Art von Begünstigung des Adels. Hierdurch wurde die Anerkennung von Bauern und Bürgertum innerhalb der Ständegesellschaft verletzt. So wären „das ganz veränderte Verhältnis des Adels“ und die „üble Stellung, welche er in dem neuen Staatsverbande erhielt“ sowie die fortschreitende „Kultur der bürgerlichen Stände“ für die „ganz ungeheure Spannung in Frankreich“ verantwortlich gewesen. Diese Spannung sei so groß gewesen, dass sie sich auf irgendeine Art und Weise lösen musste, so Clausewitz, „entweder nach und nach durch freiwillige Veränderungen oder mit einem Male durch gewaltsame.“[21] Das Resultat dieser Erweiterung des Politikbegriffs ermöglicht keineswegs eine abstrakte universelle Gültigkeit der Clausewitz’schen Theorie und insbesondere seiner Formel, indem von den Unterschieden zwischen der Verfasstheit etwa vonTatarenstämmen und modernen Staaten abgesehen würde. Vielmehr erwächst imGegenteil hieraus die Möglichkeit, Krieg als widerstreitende Einheit von Gewalt, Kampf und der Zugehörigkeit der Kämpfenden zu einer umfassenderen Gemeinschaft zu bestimmen, die historisch nach der konkreten Ausprägung dieser Gemeinschaft variiert.

Elemente nicht-staatlicher Kriegführung bei Clausewitz

Aufgrund seines methodischen Ansatzes im ersten Kapitel von „Vom Kriege“ ist die Position zurückzuweisen, Clausewitz’ politische Theorie des Krieges beziehe sich ausschließlich auf den zwischenstaatlichen Krieg. Fraglich ist aber auch die Position, alle Stellungnahmen von Clausewitz in diesem Kapitel ließen sich universell auf jeden Krieg beziehen. Vielmehr entwickelt Clausewitz in diesem ersten Kapitel verschiedene Gegensätze, aus denen für ihn jeder Krieg zusammengesetzt ist. Clausewitz’ Betonung der Zusammensetzung von Krieg aus diesen Gegensätzen in der „wunderlichen Dreifaltigkeit“ (seinem „Testament“ – Aron) bedeutet nun zweierlei. Auf der einen Seite ist in Clausewitz’ Sicht jeder Krieg aus diesen Gegensätzen zusammengesetzt – jeder dieser Pole in einem solchen Gegensatzpaar muss zumindest in Minimalform vorkommen, damit von Krieg gesprochen werden kann. Auf der anderen Seite ist auch überdeutlich, dass verschiedene Kriegsformen wie das hier diskutierte Verhältnis von Staatenkrieg und nicht-staatlichen Kriegen diese Pole in unterschiedlicher Art und Weise realisieren. Staatenkriege des 18.Jahrhunderts etwa sind durch ein größeres Maß an (einer spezifischen Form von) Rationalität geprägt als etwa gegenwärtige Bürgerkriege in Schwarzafrika.

Zu verdeutlichen ist der erste Punkt dieser Problematik am Verhältnis „der ursprünglichen Gewaltsamkeit“ des Krieges, einem zutiefst asymmetrischen Verhältnis vonHandeln und Erleiden gegenüber der (Minimal-)Symmetrie des Kampfes im Krieg. Krieg ist auf den ersten Blick durch die massenhafte Anwendung von Gewalt gekennzeichnet. Gewalt ist ein asymmetrisches Verhältnis von Handlungsmacht und Erleiden. Bei der Anwendung von Gewalt besteht grundsätzlich die Problematik ihrer Verselbständigung, worauf Wolfgang Sofsky besonders eindringlich hingewiesen hat. SeinenAusführungen ist wenig hinzufügen, wenn er schreibt, Gewalt steigert sich selbst (Sofsky 1996, 62). Immanuel Kant hatte einen ähnlichen Gedanken in der Formulierung ausgedrückt, dass der Krieg mehr schlechte Menschen mache als er deren wegnehme (zit. Münkler 1992, 56-57). Clausewitz beschreibt diese Verselbständigung der Gewalt so: Krieg sei ein Akt der Gewalt, und es gebe in der Anwendung derselben keine Grenzen (Clausewitz 1990, 194).

Ohne die Problematik der Verselbständigung der Gewalt zu relativieren, ist Gewalt im Krieg jedoch kein Selbstzweck, sondern Mittel. Eine verselbständigte, entfesselte Gewalt, ein Primat der Gewalt über die Politik, ist für Clausewitz grundsätzlich dysfunktional, wie ihn seine Analyse des Scheiterns Napoleons bei Waterloo gelehrt hat (Herberg-Rothe 2001, 44 ff.). Wesentlich für die Gewalt im Krieg ist vor allem der Charakter der angewandten Mittel. Ein unmittelbarer Nahkampf mit Fäusten, Schwertern und Schilden verlangt andere kämpferische Eigenschaften als einer mit Pfeil und Bogen, Präzisionswaffen oder mit Computer gestützter Technologie. Während im einen Fall körperliche Stärke, Aggressivität und sogar Hass vonnöten sind, können sie im zweiten kontraproduktiv sein. Hier werden geistige Fähigkeiten, Selbstbeherrschung und eine relative Gleichgültigkeit gegenüber dem Gegner benötigt. Wie unterscheidet sich aber Krieg von anderen Formen massenhaft angewandter Gewalt? Zwar sind Völkermorde sehr häufig mit Krieg einhergegangen – etwa der Genozid an den Armeniern im Ersten, der Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg – aber selbst in diesen Fällen werden sie als das bezeichnet, was sie sind: Völkermord und nicht Völkerkrieg. Neben dem Aspekt massenhafter Gewalt gehört zum Krieg somit ein Minimum an realem Kampf - ansonsten handelt es sich um Massaker, Massenvernichtung oder Massenmord (Waldmann 1998 a, 16f). Die Besetzung der Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht war kein Krieg, sondern ein Überfall, eine Okkupation. Clausewitz hat diese Problematik in der Formulierung auf den Punkt gebracht, dass Krieg eigentlich erst mit der Verteidigung anfange. Erst wenn sich jemand gegen eine massive Gewaltanwendung wehrt, entsteht ein realer Kampf und damit ein Krieg. Wie unterscheiden sich Gewalt und Kampf? Gewalt ist gebunden an das erwähnte asymmetrische Verhältnis von Handeln und Erleiden, Kampf dagegen an ein Minimum von Symmetrie der Kämpfenden – Clausewitz’ Begriff hierfür ist der Zweikampf (Clausewitz 1990, 644 und 191).

Symmetrie und Asymmetrie von Kampf und Gewalt können im Krieg paradoxe Formen annehmen. Im Kosovokrieg bekämpfte die NATO die militärische und zivile Infrastruktur der Serben mit modernster Waffentechnologie, der die serbische Armee machtlos gegenüberstand, da sie kein Potential hatte, sich gegen die hochfliegenden Flugzeuge zu wehren. Kriegsziel der serbischen Armee wurde aber die albanische Zivilbevölkerung des Kosovo und deren Vertreibung sowie die Beeinflussung der westlichen Öffentlichkeit. Und doch war es trotz dieser Asymmetrie der Kriegführung ein Kampf zweier Gegner – wer von beiden würde zuerst die Gewaltanwendung aufgeben?

Bereits im Ersten Weltkrieg handelte es sich für die unmittelbar an der Front Kämpfenden nicht mehr um einen Kampf zweier Gegner – was auf die Soldaten in den Schützengräben zukam, war kein Gegner mit menschlichem Gesicht, sondern das Trommelfeuer von Maschinengewehren und Artilleriegeschossen. Genau deshalb konstatierte ausgerechnet Lord Kitchener, Oberbefehlshaber der britischen Armee auf dem Kontinent, dies sei kein Krieg mehr. Dennoch gab es auch hier einen Kampf, allerdings oft nicht mehr auf der Ebene individueller Kämpfer, sondern ganzer Armeen und Nationen.

Ausgehend von der hier entwickelten Unterscheidung sind staatliche und nicht-staatliche Kriege deshalb gleichermaßen als Krieg zubegreifen, weil sie in derselben Weise durch Gewalt, Kampf und die Zugehörigkeit der Kämpfenden zu einer umfassenderen Gemeinschaft gekennzeichnet sind. Unterschieden sind sie durch dieMittel derGewalt, die Art und Weise der Gewaltanwendung, der instrumentellen, existentiellen oder rituellen Kampfweise sowie der Zugehörigkeit der Kämpfenden zu unterschiedlichen Formen von Gemeinschaften. Unterschieden sind sie auch darin,ob in ihnen eine eher direkte oderindirekte Strategie verfolgt wird, ob in ihnen entscheidende Schlachten stattfinden oder solche Entscheidungen eher vermieden werden, on der Gegner geschont oder vernichtet wird usw.. Die Unterschiede zwischen Staatenkriegen und nicht-staatlichen Kriegen können sehr groß sein – zuweilen sind jedoch die Unterschiede zwischen Staatenkriegen in verschiedenen Jahrhunderten ebenso groß, wie etwa zwischen den Staatenkriegen des 18.Jahrhunderts und dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, die beide zwar imwesentlichen von Staaten ausgefochten wurden, aber einen völlig anderen Charakter annahmen.

Insbesondere der staatliche Krieg ist in der historischen Entwicklung durch eine besondere Dialektik gekennzeichnet. Auf der einen Seite ist die Kriegführung von Staaten im Allgemeinen weit weniger gewaltförmig und grausam als diejenige nicht-staatlicher Gemeinschaften. Besonders deutlich wird dieser Aspekt des staatlichen Krieges, wenn wir ihn in Beziehung zu gegenwärtigen Formen der Konfliktaustragung in Bürgerkriegen und Gewaltmärkten setzen. Formell findet diese Begrenzung des staatlichen Krieges ihren Ausdruck im Völkerrecht und in denBestimmungen der Haager Landkriegsordnung.

Auf der anderen Seite ist die Kriegführung von Staaten durch eine besondere Entgrenzung der Gewalt gekennzeichnet, die ihren höchsten Ausdruck in der Möglichkeit der atomaren Selbstvernichtung fand. Aber auch hier gilt, dass ein atomarer Krieg möglicherweise gerade deshalb nicht ausgebrochen ist, weil in den staatlichen „Erfüllungsstäben“ (Münkler 1995) weiterhin ein Minimum an Rationalität – trotz des ideologischen Gegensatzes – erhalten blieb. Ob man daraus ableiten soll, dass die existierende Staatenwelt in jedem Fall zu stärken sei, um den Kampf aller gegen alle zu vermeiden (Delmas 1997), ist umstritten. Die Verbindung von staatlicher Herrschaft, ideologischem Hass und Vernichtungskapazitäten ungeheuren Ausmaßes, etwa im Nationalsozialismus oder im Stalinismus, bleibt die dunkle Seite der Geschichte des europäischen Staates.

Aus diesem Grund ist es nicht einfach, in Clausewitz’ dialektischer Abfolge von gegensätzlichen Tendenzen in seinem ersten Kapitel einzelne Aspekte „mehr“ staatlicher oder „mehr“ nicht-staatlicher Kriegführung zuzuordnen. Eindeutig dürfte die Zuordnung inden allerdings eher seltenen Fällen sein, in denen Clausewitz wie gezeigt explizit vom Staat spricht. Auch die weltberühmte Formel vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln kann eher staatlicher Kriegführung zugeordnet werden, ebenso die anfängliche dreiteilige Definition in der es heißt, der Krieg sei ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen. Rituelle Formen des Krieges ebenso wie Vernichtungskriege sind hiervon ausgeschlossen. Ausnahmen von dieser Zuordnung sind staatlich geführte Kolonialkriege wie der Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront.

Demgegenüber würde ich die drei Wechselwirkungen zum Äußersten eher nicht-staatlicher Kriegführung zuordnen – mit einer Ausnahme jedoch. In diesen drei Wechselwirkungen beschreibt Clausewitz die Tendenz zum „Äußersten der Gewaltanwendung“ injedem Krieg, wenn dieser nur seinen „eigenen Gesetzen“ unterworfen wäre.Zwar argumentiert Clausewitz zunächst nur, dass in dem abstrakten Gebiet des bloßen Begriffs der überlegende Verstand nirgends Ruhe finden würde, bis eran einem Äußersten Punkt der Gewaltanwendung angelangt sei. Hierdurch wurden zahllose Kommentatoren veranlasst, diese Tendenz in jedem Krieg auf das Gebiet der bloßen Vorstellung zu beschränken. Entscheidender ist jedoch sein Nachsatz, in dem er begründet, dass der „überlegende Verstand“ deshalb an einem Äußersten angelangt sei, „weil er es mit einem Äußersten zu tun hat, miteinem Konflikt von Kräften, die sich selbstüberlassen sind, und die keinen anderen Gesetzen folgen als ihren inneren.“ (195) Diese Tendenz zum Äußersten ist somit nicht nur eine logische Träumerei, wie Clausewitz auch betont, sondern eine Tendenz in jedem Krieg.

Diesen drei Tendenzen zum Äußersten stellt Clausewitz unter derÜberschrift „Modifikationen in der Wirklichkeit“ drei „ermäßigende Tendenzen“ gegenüber. Zwei dieser drei ermäßigenden Tendenzen begründet er damit, dass es Staaten sind, die gegeneinander kämpfen. Die Tendenz zum Äußersten würde nur dann gelten, wenn „der Krieg ein ganz isolierter Akt wäre, der urplötzlich entstünde undnicht mit dem früheren Staatsleben zusammenhinge“ und „wenn er eine in sich vollendete Entscheidung enthielte und nicht der politische Zustand, welcher ihm folgen, durch den Kalkül schon auf ihn zurückwirkte.“ (195-196)[22]

Wenn die drei „modifizierenden Wechselwirkungen“ (Münkler) entscheidend dadurch begründet sind, dass es sich nicht um beliebige Gegner handelt, sondern um Staaten, so ist der Umkehrschluss gestattet, dass sich die drei Wechselwirkungen zum Äußersten in Clausewitz’ Sicht „mehr“, eher (und diese Einschränkung ist angesichts etwa des Zweiten Weltkrieges hervorzuheben) auf nicht-staatliche Kriege beziehen. Deutlich spricht Clausewitz diesen Zusammenhang in der ersten der drei Wechselwirkungen zum Äußersten aus (diese ist zugleich diejenige, die quantitativ bei weitem den meisten Platz in seiner Darstellung einnimmt). Derjenige, der sich im Kampf der „Gewalt rücksichtslos, ohne Schonung des Blutes“ bediene, müsse ein Übergewicht bekommen, wenn es der Gegner nicht auch tue. „Dadurch gibt er dem anderen das Gesetz, und so steigern sich beide bis zum Äußersten.“ Clausewitz fährt fort, wenn die Kriege „gebildeter Völker“ viel weniger grausam und zerstörend seien als die der ungebildeten, so liege dies indem unterschiedlichen Zustand der Staaten begründet.[23] Er betont, dass im Regelfall[24] „gebildete Völker den Gefangenen nicht den Tod geben, Stadt und Land nicht zerstören“, und zwar deshalb, weil ihnen die Intelligenz wirksamere Mittel geben würde als diese rohen Äußerungen des Instinkts. Die Erfindung des Pulvers sowie die immer weitergehendere „Ausbildung des Feuergewehrs“ zeige jedoch hinreichend, dass die im Begriff des Krieges liegende Tendenz zur Vernichtung des Gegners auch faktisch durch die zunehmende Bildung keineswegs eingeschränkt worden sei. (alles 193-194)

Trotz dieser Einschränkung ist zu sagen, dass Clausewitz erste Wechselwirkung zum Äußersten „eher“ eine Tendenz aus nicht-staatlichen Kriegen beschreibt. Insbesondere seine Formulierung, dass der Krieg ein Akt der Gewalt sei und es in der Anwendung derselben keine Grenzen gebe, ist keineswegs eine Rechtfertigung der Anwendung vollkommen entgrenzter Gewalt, sondern beschreibt die Eskalationsmechanismen nicht-staatlicher Gewaltausübung.[25]

Verkürzung versus Verlängerung des Zeithorizonts

In den Wechselwirkungen zur Ermäßigung begrenzt die Kategorie der Zeit die Eskalation. (ausführlich hierzu Herberg-Rothe 2001 a) Demgegenüber hat in den Wechselwirkungen zum Äußersten die Verkürzung des Zeithorizonts nicht nur in der Systematik Clausewitz’, sondern auch historisch betrachtet, entgrenzenden Charakter. Spätestens seit Helmuth von Moltke, dem Chef des deutschen Generalstabs in den drei deutschen Einigungskriegen 1864-1871, ist es ein zentrales Motiv der Strategie, Kriege in industrialisierten Ländern zeitlich zu verkürzen und zu begrenzen. In immer neuen Varianten wurde die These diskutiert, dass Kriegführung und der erreichte Stand an Industrialisierung sich gegenseitig ausschließen. Die Antwort bewegte sich jedoch außerhalb dieser Alternativen. Nicht nur die Gefahr eines Zweifrontenkrieges, sondern vor allem auch die Problematik von möglichen Zerstörungen industrieller Kapazitäten führte im deutschen Reich über den späteren Chef des Generalstabes, Graf Schlieffen, zur „Blitzkriegsstrategie“ Hitlers und des deutschen Generalstabes im zweiten Weltkrieg. (Geyer 1984)

In all ihren Varianten wurde in der Blitzkriegsstrategie versucht, durch Beweglichkeit und größere Vernichtungskapazitäten die militärische Entscheidung bereits im ersten Anlauf zu erzwingen, um einen langandauernden Stellungskrieg wie im 1. Weltkrieg zu verhindern. Diese Konzeptionen trugen im Unterschied zu ihren Intentionen jedoch zu einer Totalisierung des Krieges bei, denn „dasselbe tut der Gegner“, so Clausewitz. (195) Wenn eine Seite versucht, ihren Gegner durch die Entwicklung von neuen Waffentechnologien und Kriegstrategien bereits im ersten Moment zu besiegen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Gegner nachzieht. Die Blitzkriegsstrategie Hitlers hatte anfangs deshalb Erfolg, weil die Gegenseite auf die neue Form der Kriegführung noch nicht eingestellt war. Wie bei den Siegen Napoleons verdankte auch diese Strategie ihren Erfolg vorwiegend dem Zusammenbruch der Kampfmoral eines Gegners, der sich nicht rasch genug auf Techniken einzustellen vermochte, die so stark auf Geschwindigkeit, Konzentration und Überraschung angelegt waren. (Howard 1981, 75)

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde diese Form der Kriegführung jedoch Allgemeingut. Ihren Höhepunkt erreichte die Verkürzung des Zeithorizonts im Atomzeitalter. Um die potentiell unermesslichen Schäden auf der eigenen Seite zu verhindern, musste versucht werden, dem Gegner zuvorzukommen und dessen Atomraketen zu vernichten, bevor diese gestartet werden konnten. Der gegenseitige Versuch, das gegnerische Vernichtungspotential möglichst weitgehend zu vernichten, bevor dieses eingesetzt werden konnte, führte einerseits zu Vorwarn- und denkbaren Kampfzeiten von wenigen Minuten, andererseits zu vielfältigen Overkill-Kapazitäten.

Paradoxerweise sind sowohl Kriege mit Messern und Macheten“als auch high-tech-Kriege durch den Verlust von Zeitlichkeit geprägt. Während die Verkürzung des Zeithorizonts in modernen Kriegen integraler Bestandteil des militärischen Erfolges ist – Zeit ist hier nicht nur Geld, sondern Macht – gibt es in bezug auf Bürgerkriege ein ganz anderes Phänomen. Bürgerkriege sind gekennzeichnet durch die Verknappung von Zeit – alle Erwartungen an die Zukunft werden beiseite geschoben zu Gunsten des unmittelbaren Überlebens. Die „Ökonomie“ von Bürgerkriegen ist in ihrer Fortdauer immer mehr bestimmt durch eine radikale Ausbeutung gegenwärtig verfügbarer Ressourcen und dem Verzicht auf Investitionen in die zukünftige Entwicklung. Die Perspektive eines zukünftigen Friedens geht zunehmend verloren durch die Eskalationsspirale der Gewalt wie des Überlebens. (Münkler 2000, 157; Genschel/Schlichte 1997, 501-517).[26] Der Unterschied zwischen beiden Kriegsformen besteht darin, dass in high-tech-Kriegen die Dauer von Handlungen immer mehr zusammenschrumpft, während in Bürgerkriegen die Gegenwart ausgedehnt wird und die Zukunft vertilgt. Die Angst „frisst“ die Seele und die Zukunft.

Aus der Gegenüberstellung der Wechselwirkungen zum entgrenzten und zum begrenzten Krieg könnte allgemein geschlossen werden, dass eine Verkürzung des Zeithorizonts in der Kriegführung zur Entgrenzung beiträgt, seine Verlängerung dagegen zur Begrenzung. Einer solchen Sichtweise steht jedoch die erste Wechselwirkung zum Äußersten gegenüber. Wir hatten die These vertreten, dass Gewalt selbst entgrenzend ist. Eine längerandauernde Perspektive ermöglicht zwar mit Clausewitz zu sprechen eine Verschiebung von militärischer Gewalt in die Zukunft. Gleichzeitig verlängert sie jedoch auch die Ausübung von Gewaltsamkeit und entgrenzt die wechselseitigen Handlungen. Beispiele für diese Problematik finden sich in nahezu allen gegenwärtigenBürgerkriegen. Die begrenzende Wirkung einer Verlängerung des Zeithorizonts steht damit der entgrenzenden Wirkung einer länger andauernden Anwendung der Gewalt diametral gegenüber.

Im Gegensatz zu den Annahmen etwa von Paul Virilio folgt die Entwicklung des Kriegsgeschehens keineswegs geradlinig den Imperativen der Beschleunigung. Auch ist nicht ausgemacht, dass eine größere Beschleunigung automatisch zum Sieg führt. Hier ist gegenwärtig sogar eher ein Paradox festzustellen. Auf der einen Seite gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der beschleunigenden Wirkung integrierter und satellitengesteuerter Kriegführung, denen sogar andere staatliche Akteure nur dadurch begegnen können, dass sie Strategien asymmetrischer Kriegführung entwickeln und eineVerlängerung der Kampfhandlungen zu erreichen suchen, entsprechend Mao-Tse-Tungs Diktum vom lang auszuhaltenden Volkskrieg. Auf der anderen Seite erzwingt die Bereitstellung der für High-Tech-Kriegführungnotwendigen Mittel eine immer größere Zeitspanne vor dem jeweiligen Kriegsbeginn (Münkler 2003)

Fassen wir unsere Darstellung zusammen, so gibt es zwar eindeutig scheinende Äußerungen von Clausewitz im ersten Kapitel des ersten Buches, die nahe legen, dass sein theoretischer Ansatz in wesentlichen Teilen eher staatlicher Kriegführung zuzuordnen wäre. Aufgrund des hier dargestellten methodischen Ansatzes von Clausewitz ist staatliche Kriegführung jedoch nur ein Pol in einem Diskurs von Gegensätzen, innerhalb derer jeder Krieg bei Clausewitz anzusiedeln ist. Verbinden wir das methodische Prinzip, wie es in der „wunderlichen Dreifaltigkeit“ angelegt ist mit deninhaltlichen Bestimmungen der anfänglichen dreiteiligen Definitionen zusammen, so ist Krieg zusammengesetzt aus den drei zugleich widerstreitenden Gegensätzen von Gewalt, Kampf und der Zugehörigkeit der Kämpfenden zu einer umfassenderen Gemeinschaft. Thomas Hobbes berühmte Konzeption eines „Krieges aller gegen alle“ ist in diesem Sinne kein eigentlicher Krieg, sondern die Herrschaft nackter, reiner Gewalt, weil hier keine Gemeinschaften kämpfen, sondern Individuen. In Staatenkriegen und nicht-staatlichen Kriegen sind diese widerstreitenden Tendenzen in systematisch wie historisch unterschiedlicher Art und Weise verwirklicht – zugleich müssen sie jedoch alle in zumindest minimalem Ausmaß vorhanden sein, damit von Krieg gesprochen werden kann.

Literatur:

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ders., (2001 b), "Primacy of culture in a modern world? John Keegan’s critique demands a sophisticated interpretation of Clausewitz." In: Defense Analysis, Lancaster, Volume 17, edition 2, August.

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Waldmann, Peter (1998), Terrorismus. Provokation der Macht, München.

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[1]. Wir begrenzen hier unsere Betrachtung auf den späten Clausewitz undsein Werk „Vom Kriege“. Dies aus dem Grund, weil die „existentielle Kriegsauffassung“ (Münkler 2002 b) des frühen Clausewitz zwar sehr viel einfacher auf nicht-staatliche Kriege bezogen werden könnte, in der Literatur jedoch die Ansicht vorherrscht, dass Clausewitz Spätwerk und sein weltberühmtes Buch „Vom Kriege“ im wesentlichen nur Gültigkeit für den Staatenkrieg habe.Siehe im folgenden Clausewitz, Carl von, Vom Kriege. Nachdruck der 19.Auflage Bonn 1990; Seitenzahlen in Klammern beziehen sich aufdiese Ausgabe
[2]. Waldmann 1998 a und b.
[3]. Bezüge auf den staatlichen Krieg finden sich im ersten Kapitel zusätzlich an folgenden Stellen: „der Krieg ein ganzisolierter Akt wäre, der urplötzlich entstünde und nichtmit dem früheren Staatsleben zusammenhinge“ (196); „es liegt in der Natur der Staatenverhältnisse“ (198); „Sind die beiden Gegner nicht mehr bloße Begriffe, sondern individuelle Staaten und Regierungen“ (199)
[4]. So explizit Peter Waldmann, Vorwort zu van Creveld 1998,5.
[5]. Aron 1980, 104-105: "Die Hauptsache in diesem Kapitel ist der Übergang von einer zweiteiligen Definition des Krieges“, ("Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zu Erfüllung unseres Willens zu zwingen") zu einer "dreiteiligen Definition“, nach Aron der wunderlichen Dreifaltigkeit. Aron fährt fort, "die auf dieser anfänglichen Analysestufe, auf der Begriffsebene, richtigen Sätze gelten nicht aufs Ganze gesehen".
[6]. u.a. bei Peter Paret, Dan Diner, Raymond Aron, Herfried Münkler und Panajotis Kondylis.
[7]. Der andere Pol ist in meinem Verständnis die „ursprüngliche Gewaltsamkeit des Krieges.“ Der Gegensatz zwischen beiden Polen wird in Clausewitz’ Erläuterung verständlich. Dort bringt er die Begriffe der ursprünglichen Gewaltsamkeit in Verbindung mit dem „Haß und derFeindschaft“, die wie ein bloßer Naturtrieb anzusehen seien. Durch die untergeordnete Natur des Krieges als eines politischen Werkzeuge gehöre der Krieg „dem bloßen Verstande“ an. Hass und Feindschaft wie ein blinder Naturtrieb auf der einen Seite, bloßer Verstand andererseits, dies sind entgegengesetzte Pole in Clausewitz politischer Theorie des Krieges.
[8]. Siehe hierzu mein Kapitel „Jena, Moskau, Waterloo“ in Herberg-Rothe 2001.
[9]. ImDetail habe ich dieses wechselseitige Übergehen von Gegensätzen dargestellt in Herberg-Rothe 2001, 149-176.
[10]. Dieses Spannungsfeld innerhalb vonClausewitz’ Formel zwischen einer Fortsetzung von Politik, aber mit anderen Mitteln, wurde in der bisherigen Interpretation nahezu immer übersehen. Dies geht so weit, dass seine schärfsten Kritiker, van Creveld und Keegan, Clausewitz’ Formel halbieren, indem sie den zweiten Teil der Formel, der Betonung der anderen Mittel, systematisch weglassen (van Creveld 1998, Keegan 1995).
[11]. Hegel hatte argumentiert, dass der "Satz in Form eines Urteils, nicht geschickt ist, spekulative Wahrheiten auszudrücken.“ Hegel Wissenschaft der Logik, Bd. I. In: ders., Werke, Bd. 5, S. 93. Er begründet diese Position damit, dass z.B. der Satz "Sein und Nichts ist eins und dasselbe“ unvollkommen ist. Der Akzent werde vorzugsweise auf das Eins-und-dasselbe gelegt. Der Sinn scheine daher zu sein, dass der Unterschied geleugnet werde, der doch zugleich im Satze unmittelbar vorkommt. Zum Verhältnis von Clausewitz und Hegel siehe Herberg-Rothe 1999.
[12]. Karl Linnebach, zit. Clausewitz, Vom Kriege, 1361.
[13]. Diese rein stellvertretende Funktion von Clausewitz geht so weit, dass Keegan im privaten Gespräch inzwischen zugestanden hat, er habe Clausewitz nie gelesen. Bei genauerer Lektüre seiner „Kultur des Krieges“ ist dies offensichtlich. Zur Kritik an Keegan siehe Herberg-Rothe, Primacy of Culture or Politics.
[14]. Zur Unterscheidung immer noch informativ, Wehler. Siehe hierzu aber vor allem mein Kapitel über Clausewitz’ Konzeption dessen, was ein Begriff leisten soll; Herberg-Rothe 2001.
[15]. Paradox ist, dies sei nur angemerkt, dass für seine berühmtesten Kritiker Clausewitz aus ganz unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Gründen überholt erscheint. Für Keegan ist Clausewitz der grundlegende Theoretiker des entgrenzten „totalen modernen Krieges“ und die Menschheit müsste sich von ihm abwenden, um nicht unterzugehen, während van Creveld argumentiert, Clausewitz propagiere eine begrenzte Kriegführung und mit einem solchen begrenzten Ansatz könne kein Krieg gegenüber Gegnern, die um ihre Existenz, ihre Identität kämpfen, gewonnen werden.
[16]. Echevarria 1995, Diner, Aron.
[17]. Clausewitz verwendet den Begriff der "Intelligenz des personifizierten Staates“ jedoch auch, um zu begründen, dass begrenzte und entgrenzte Formen der Kriegführung gleichermaßen durch die Politik bestimmt werden. (212) Der Status dieser Kategorie ist somit nicht ganz eindeutig. Wir verwenden diesen Begriff in dem Sinne, dass hiermit die subjektive Autonomie der politisch Handelnden zum Ausdruck gebracht wird.
[18]. Eshandelt sich hierbei um das dritte Kapitel, Teil B, des achten Buches.
[19]. Diese Unterscheidung habe ich inmeinerKritik an John Keegan entwickelt, Herberg-Rothe 2001 a.
[20]. Den Zusammenhang zwischen Krieg und der sozialen Ordnung der Gemeinschaft machte Hans Delbrück zum Dreh- und Angelpunkt seiner monumentalen „Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“ (Neuauflage Delbrück 2000); Clausewitz selbst verdeutlichte diesen Zusammenhang besonders in seiner Schrift „Umtriebe“
[21]. Clausewitz, Carl von, Umtriebe. In: ders., Politische Schriften, S. 153-195, hier S. 153-165.
[22]. Siehe insbesondere auch S. 199, Abschnitt: „sondern der erliegende Staat sieht darin oft nur ein vorübergehendes Übel.“
[23]. Ein Hinweis übrigens darauf, dass Clausewitzhiernichteinen modernen Begriff von Staat verwendet, sondern Staat eher versteht als organisierte Gemeinschaft.
[24]. Clausewitz vermeidet auch hier eindeutige bzw. dogmatische Festlegungen, verwendet statt dessen Formulierungen wie „im Regelfall“, „mehr“ etc.
[25]. Gegenüber Keegans Verklärung „primitiver Kriegführung“ siehe Keeley,L.H. (1996), War before Civilization: The Myth of the Peaceful Savage, Oxford. Siehe zu diesen Eskalationsmechanismen insbesondere Waldmann 1998 b.
[26]. Münkler, Herfried, Menschenrechte und Staatsräson. In: Gustenau, Gustav (Hrsg.), Humanitäre militärische Intervention zwischen Legalität und Legitimität. Baden-Baden 2000, S. 157. Genschel, Philipp und Klaus Schlichte, WennKriege chronisch werde: der Bürgerkrieg. In: Leviathan Nr. 4, 1997, S. 501-517.